Heute stehen wir früh auf. Das tun wir zwar fast jeden Morgen, doch heute ist es umso wichtiger. Wir möchten nochmals Villa Epecuén besuchen. Diesmal ohne andere Besucher und mit etwas mehr Nervenkitzel.
Gestern sind wir über eine Schotterstrasse in Villa Epecuén angekommen. Nicht gerade in der Stadt, sondern zu unserem Erstaunen vor einem Tor mit einem kleinen Häuschen. Der Besuch von dieser aussergewöhnlichen Stadt kostet Eintritt. Nicht viel, nur 100 Pesos.
Wir werden in Villa Epecuén sonst kein Geld ausgeben. Denn es gibt keine Restaurants, keine Geschäfte und überhaupt keine Möglichkeit irgendjemandem etwas zu bezahlen. Denn es wohnt niemand mehr dort.
Die nette Argentinierin im Häuschen gibt mir zwei Tickets. Sie bemerkt wie ich die Gläschen mit schwarzem Inhalt anschaue und schon schmiert sie mir ein bisschen von der dunklen Paste auf meine Hand. „Es ist gut gegen Rheuma. Warte bis es trocken ist, dann kannst du es abwaschen“.
“Gut gegen Rheuma”
Deshalb war dieser Ort wohl ein Kurort. Die schwarze Paste stammt aus dem See, der Villa Epecuén so beliebt gemacht hat. Der Lago Epecuén steht nach dem toten Meer gleich an zweiter Stelle der salzigsten Seen der Welt.
Während ich mir noch Gedanken darüber mache, wie ich die Wirkung auf dieser kleinen Stelle auf meiner Hand bemerken sollte, ist Stefan schon auf dem Weg in die Stadt. Ich laufe ihm schnell hinterher.
Wir gehen auf der ehemaligen Hauptstrasse Richtung See. Mit jedem Meter werden die Ruinen links und rechts von uns mehr und grösser. Wo am Anfang der Strasse nur ein paar Steine herum lagen, sehen wir jetzt eingestürzte Mauern.
Von einem Hotel stehen nur noch die Stützmauern. Die Konfiserie ist heute ein Steinhaufen. Und auf dem Spielplatz kann kein Kind mehr spielen, ausser es würde gerne von der Rutsche direkt in den stinkigen, schlammigen See rutschen.

Villa Epecuén war einmal ein berühmter und beliebter Ferienort und das schon seit 1921. Gelegen im Osten von Argentinien, etwa 600km von der Hauptstadt Buenos Aires entfernt, war sie Ziel von älteren Menschen die Heilung, jungen Leuten die Unterhaltung und Arbeitern die Ruhe brauchten. Hier gab es alles. Und der See war wie ein grosses Thermalbad für alle.
Und heute gehen wir durch die Strassen und haben Mühe zu erkennen wo ein Haus anfängt und die Strasse aufhört. Es scheint als ob ein Riese über die Stadt getrampelt und alles zerstampft und zerstört hätte. Als ob die Hotels, Wohnhäuser, Restaurants und Parkbänke nur aus Legosteinen zusammen gebaut worden waren und nun jeder Stein einzeln rumliegt und man nicht mehr genau weiss, zu was er eigentlich genau gehört.
Was ist mit Villa Epecuén geschehen?
Im selben Jahr als ich geboren wurde, starb Villa Epecuén. Am 11. November 1985 wurde die florierende Stadt überflutet. Die Wassermassen kamen sehr schnell und nichts konnte gerettet werden. Ausser die Menschen. Zum grossen Erstaunen kam kein Mensch zu schaden. Körperlich jedenfalls nicht.
Doch wie kam es dazu, dass dieser heilbringende See plötzlich die Stadt überflutete? Mehrere Jahre vor der Katastrophe wurde Villa Epecuén von einer langen Dürreperiode heimgesucht. Dies ging so weit, dass der See immer mehr schrumpfte. Mit ihm selbstverständlich auch der Tourismus. Denn was wäre der Kurort ohne den See! So hat sich die Gemeinde überlegt einen Staudamm zu bauen, um das gute Wasser an Ort und Stelle zu behalten.
Das war eine gute Idee. Für eine kurze Weile. Denn nach der Trockenperiode kam das Wasser. Eine Regenzeit war so stark und lang, dass der Damm nicht mehr mithalten konnte. Risse zeigten sich bald an der dicken Mauer. Und als die Risse grösser wurden, hatten die Einwohner von Villa Epecuén nur noch Zeit zu flüchten. Kurz danach zerbrach der Staudamm und das ganze Wasser überflutete das schöne Städtchen.

Das Wasser stand höher als das höchste Haus
Auch als sich das Wasser zurückzog, konnte man nichts mehr mit der Stadt anfangen. Der hohe Salzgehalt des Sees hat alles zerstört.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl nun durch diese Stadt zu spazieren. Alte Fotos zeigen, wie es früher ausgesehen hat. Wir können uns nur vorstellen, wie die tausenden Besucher sich hier amüsiert haben.

Je näher wir dem See kommen, desto grösser wird der Gestank. Es ist eine Mischung aus Schwefel, Algen und Fisch. Irgendwie passt es zu dem ganzen Szenario. Es scheint, als ob die ganze Farbe aus der Stadt rausgezogen wurde. Übrig geblieben ist nur ein helles Grau. Auch die Bäume haben all ihre Farben verloren. Es sind nur noch gräuliche Stämme die sich im See spiegeln.
Grau ist auch der Boden. Da es heute immer wieder ein bisschen regnet, wird der Boden nicht ganz trocken, was heisst, dass unsere Schritte an manchen Stellen im Schlamm einsinken. Es ist schwierig zu erkennen wo harter und wo weicher Boden ist.
Villa Epecuén scheint trotzdem noch ein paar Besucher anzuziehen. Sie lachen und fotografieren sich und die versunkene Stadt. Dies ist nicht die Stimmung, welche wir an verlassenen Orten mögen.
Urban Exploring
In Europa haben wir regelmässig verlassene Gebäude besucht. In den alten Hotels, Universitäten und Wohnhäusern konnten wir kleine Zeitreisen unternehmen. Denn meistens war die Einrichtung noch so vorhanden, wie sie in den 80ern oder 90ern verlassen wurde. Nur viel staubiger. Zu diesen Ausflügen, Urban Exploring genannt, gehörte es auch allein zu sein und unentdeckt in die Gebäude zu kommen, um dann schöne Fotos zu machen (@urbexola).
Um diese Stimmung wieder einmal zu fühlen, haben wir uns entschieden Villa Epecuén am nächsten Tag nochmals zu besuchen und zwar bevor die Argentinierin im Häuschen die Besucher begrüsst.
So stehen wir also nun um 6 Uhr morgens vor dem, zu unserer Freude, offenen Tor. Wir laufen die selbe Strecke wie gestern. Diesmal ohne zu Sprechen. Die Stimmung so früh am Morgen und ohne andere Besucher ist anders als die vor 12 Stunden.

Das Grau ist dunkler und schwerer. Die Steine stützen müde die letzten Mauern. Die einzigen Geräusche kommen von einsamen Vögeln und einem Motorradmotor, welches aus der Ferne immer wieder aufheult und uns erschreckt.
Wir geniessen die Zeit an diesem unwirklichen Ort. Zwei Stunden lang entdecken wir Reste von Autos, balancieren über Steinhaufen und erfahren, dass Plastik wohl unzerstörbar ist.
Kurz bevor die kleine Stadt Villa Epecuén ihre offenen Tore offiziell öffnet, spazieren wir aus denselben raus. Mitgenommen haben wir surreale Erfahrungen, viele Fotos und eine eigene Erinnerung an Argentiniens schönsten Kurort.

Wichtige Infos für Dich:
- Villa Epecuén liegt 600km südlich von Buenos Aires (hier die Koordinaten)
- Am besten erreichst Du die Stadt mit dem Auto. Falls Du mit einem Van reist, kannst Du vor dem Tor übernachten oder am Strand ganz in der Nähe (dort gibt es auch Freiluftduschen und Toiletten)
- Im See kannst Du baden, jedoch nicht direkt in Villa Epecuén, sondern am Badestrand
- Der Eintritt der Ruinenstadt kostet 100 Pesos und die Öffnungszeiten sind von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends
- Trage keine Flipflops, denn der Boden kann sehr weich sein und Du möchtest nicht mit Deinen Füssen im Schlamm stecken
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